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Noël Cunningham-Reid

Flashback

Die dreizehn Runden des Noël Cunningham-Reid

Cunningham-Reid? Nie gehört - werden sicher viele sagen, auch wenn sie sich zu langjährigen Nürburgring-Fans zählen.

Autor: Udo Klinkel – Es ist ja auch schon lange her, dass ein Mann dieses Namens am Nürburgring Geschichte schrieb. Wir müssen bis zum 26. Mai 1957 zurück gehen, um auf dieses Ereignis zu stoßen. 

Vom 23. – 26. Mai findet das dritte 1000 Kilometer Rennen auf der Nürburgring-Nordschleife statt und der damals 27 jährige Brite dürfte ohne große Erwartungen in der Eifel eingetroffen sein. Seine Rennsporterfahrung erstreckt sich auf gut zwei Jahre Sportwagenrennen, meist in der englischen „Club-Szene“ zwischen Mallory Park, Goodwood und Silverstone. Die britische Sportwagenschmiede Aston Martin hatte beschlossen, am Nürburgring erstmals zwei ihrer neuen Dreiliter-Autos vom Typ DBR1 an den Start zu bringen. Das Team ist etwas knapp mit Fahrern, denn lediglich Roy Salvadori und Tony Brooks sind feste Größen im Team. Kurzerhand werden Les Leston, der eigentlich Albert Lazarus Fingleston heißt und besagter Noel Cunningham-Reid engagiert, um die Rolle des Co-Piloten zu übernehmen. Keiner von beiden hat den Nürburgring jemals vorher zu Gesicht bekommen und so kommen die drei Trainingstage vor dem Rennen gerade recht, um sich zumindest ungefähre Kenntnis der Strecke anzueignen. Und das gegen eine Konkurrenz, die wahrhaftig nicht von schlechten Eltern ist. Maserati und Ferrari sind die haushohen Favoriten. 

Stirling Moss auf vergeblicher Jagd nach Tony Brooks. Foto: Archiv Völker-Richarz

Vor allem der Maserati 450S  – mit Stirling Moss und Juan Manuel Fangio schon mehr prominent besetzt – wird als kaum schlagbar gehandelt. Auch die Ferrari-Truppe kann sich sehen lassen: Peter Collins, Olivier Gendebien, Mike Hawthorn und Maurice Trintignant werden ganz sicher ein Wörtchen mitsprechen wollen, wenn es um den Gesamtsieg geht. Das ganze Abenteuer beginnt am Donnerstag bei typischem Eifelwetter. Regnerisch und kühl präsentiert sich die Landschaft rund um die Nürburg. Dementsprechend fallen die Trainingszeiten aus. 

Nur sechs Fahrer knacken die elf Minuten, wobei gleich die erste Überraschung ins Haus steht: Tony Brooks im Aston-Martin sechzehn Sekunden vor Moss! Aber damit nicht genug: der unerfahrene Cunningham-Reid trägt sich ebenfalls in die Liste der „unter elf“ Leute ein, die von Umberto Maglioli im Porsche, Roy Salvadori im zweiten Aston-Martin und – nächste Überraschung – Archie Scott-Brown im Jaguar D komplettiert wird. Kein Ferrari kein Maserati weit und breit. Damit hatte wohl niemand gerechnet und wahrscheinlich fingen sie an diesem Nachmittag im Aston-Martin Team an, den Regengott zu beschwören.

Glückliche Sieger: Ehrenrunde für Noel Cunningham-Reid und Tony Brooks. Foto: Archiv Völker-Richarz

Der allerdings lässt sich nicht erweichen und verweigert am nächsten Tag das von den Briten so ersehnte Nass. Die Sonne lacht vom Eifelhimmel und das wird sich während des gesamten Wochenendes nicht ändern. Am Ende des Tages liegt Brooks knapp hinter Fangio und Moss. Noel steigert sich erneut. Ganze zwölf Sekunden ist er schneller, als Kollege Les Leston, was die Teamführung unter John Wyer veranlasst, ihn für das Rennen mit Brooks zusammen zu spannen, wodurch Leston zu Salvadori wechseln muss. Das Samstagstraining lässt man bei Aston Martin aus, um die Fahrzeuge für das schwere Rennen zu schonen.

Siegerpodium mit dem damaligen ADAC Sportpräsidenten Jules Köther und Franz-Josef Strauss. Foto: Archiv Völker-Richarz

Beim Start kommt Tony Brooks in seinem dunkelgrünen Aston-Martin mit der Startnummer 14 am besten weg. Ihm scheint an diesem Wochenende alles zu gelingen. In der Box wird Noel Zeuge, wie sein Teamleader der gesamten italienischen Meute enteilt. 

Moss ist nach schlechtem Start im Mittelfeld versackt und muss sich mühsam nach vorne kämpfen. Doch Moss wäre nicht Moss, wenn ihm das nicht gelänge. Am Ende der siebten Runde hat er Brooks eingeholt und geht vorbei. Doch dessen Freude ist nicht von langer Dauer. Am Schwalbenschwanz verabschiedet sich recht spektakulär ein Rad samt Bremse vom Maserati. Glücklicherweise ohne Folgen für die Zuschauer, über deren Köpfe hinweg das gute Stück Kurs auf einen Parkplatz nimmt, um dort, ohne Schaden anzurichten, einzuschlagen.

Noel kann es kaum fassen, dass er in der 16. Runde ein Auto übernehmen muss, das jetzt das 1000 Kilometer Rennen anführt. Mit welchen Gefühlen er sich auf den Weg macht, weiß nur er allein. Die Zuschauer jedenfalls erleben eine großartige und kontrollierte Fahrt des Nürburgring-Neulings.

Und trotzdem baut er seinen Vorsprung noch auf vier Minuten aus. An der Box werden seine Zeitnehmer ungläubig auf die Uhren gestarrt haben, nur um jetzt tatsächlich Morgenluft zu wittern. Sollte es gelingen? Mit einem Youngster am Steuer ihres schnellsten Autos? Wenn er mal nicht doch noch einen Fehler macht. Der Nürburgring verzeiht derartiges nicht. Bis zur 29. Runde gilt es für Noel durchzuhalten, den Vorsprung gegen die Verfolger in ihren roten Rennern zu verteidigen. Und dann kommt er zurück… planmäßig nach dieser 29. Runde, die seine dreizehnte ist. Brooks steht bereit, übernimmt das Auto und fährt das Ding unangefochten nach Hause. Noel ist erst einmal völlig fertig nach seinen dreizehn Runden, kaum ansprechbar. Das härteste Stück Arbeit seines bisherigen Lebens, ohne Zweifel. Und wer hätte gedacht, dass sich ein Mann namens Cunningham-Reid an diesem Sonntagnachmittag unterm Siegerkranz wiederfindet?

Tony Brooks im siegreichen Aston Martin in der Südkehre. Foto: Archiv Völker-Richarz

Es wird sein größter Erfolg bleiben. Noch im selben Jahr verabschiedet sich der junge Mann von der Rennerei. Sein letztes Rennen fährt er im September in Silverstone. Danach hängt er den Helm an den Nagel. Warum er sich so entscheidet? Wer weiß? Als lebenslanges Mitglied des „British Racing Driver Club“ bleibt Noel zumindest auf diese Weise bis ins hohe Alter dem Rennsport verbunden. Er verstirbt 86-jährig am 4. Oktober 2017.